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Werkwürdigungen

Dr. Jens Semrau

Kunstwissenschaftler
Berlin

Eröffnungsrede zum 60. Geburtstag 2010 Kunstsammlung Neubrandenburg

Es scheint mir richtig, was der Kunstwissenschaftler Diether Schmidt einmal schrieb: jede Künstlergeneration folgt über weite Strecken dem Gesetz unter dem sie angetreten ist. Adelheid Sandhof stellt hier aus Anlass ihres 60sten überwiegend neuere Arbeiten vor, was naheliegend und verständlich ist. Das sich nichts verändert hätte im Vergleich zu den früheren Bildern, kann man nicht sagen. Trotzdem gibt es für mich eine Kontinuität. Die Ausstellung spannt einen Bogen von einigen frühen Blättern und Bildern zu dem, was in den letzten Jahren entstanden ist. Viele von Ihnen, die Sie heute gekommen sind, werden Adelheid Sandhof kennen und selbst nachvollziehen können, was im Lauf der Jahrzehnte bei ihr künstlerisch passiert ist.

Der Blick zurück auf frühere Zeiten und Verhältnisse erscheint mir in mancher Hinsicht zwiespältig. Vor 30 Jahren konnte man schon etwas wie eine geistige Erdrosselung empfinden. So ging es mir jedenfalls, vor allem in der Zeit nach der Biermann-Ausbürgerung. Das war sicher nicht die einzige Stimmung, von der man sich beherrschen lassen wollte, man war schließlich jung zu der Zeit, aber diese Empfindung gab es. Dagegen sagte mir damals jemand – es war Sabine Grzimek – was mir in dem Moment allzu abgehoben weise erschien und was vielleicht eine weibliche Weisheit ist, sie sagte: Es geht immer weiter, die lebendigen Dinge setzen sich durch, so wie das Wasser seinen Weg im Boden findet. Dieses Wort kam mir in den Sinn, als ich darüber nachdachte, was die Malerin Adelheid Sandhof für ihre Heimatstadt Neubrandenburg bedeuten mag und umgekehrt Neubrandenburg für ein Malerleben, das von hier aus  begonnen hat. Es sind vermutlich wenig sichtbare Bindungen und Einflüsse, die sich auch kaum benennen lassen und die sicherlich zeitweise problematisch waren.

Das Wort von Sabine Grzimek drückt etwas aus, was der Kultursoziologe Albrecht Göschel als „essentialistische Identität“ bezeichnet hat – ein Haltung, die ich auch in der ernsthaften und feinsinnigen Malerei von Adelheid Sandhof zu finden glaube. Göschels Aufsatz „Die Kunst der DDR als Dokument essentialistischer Identität“ klingt wie der Vorwurf der Schwermut, und so ähnlich ist es gemeint, wenn auch nicht ganz so simpel. Natürlich ist die Sozialisation und das Kunstverständnis verschieden gewesen in Ost und West und dazu vor 30/40 Jahren. Ich denke, für ein Malerleben, das vor 40 Jahren in Neubrandenburg ansetzte, waren nicht Netzwerke und Selbstdarstellungen prägend, sondern innere Erlebnisse, und bei den Begegnungen nicht die Nützlichkeit, sondern die Glaubwürdigkeit der einzelnen Leute, mit denen man zu tun hatte. Das gilt zweifellos genauso für die Berliner Zeit von Adelheid Sandhof. Für die Orientierung gab es eigentlich nur Kriterien des künstlerischen und menschlichen Empfindens. Alles andere – sozusagen obrigkeitliche Kunstanforderungen und Programme – waren schon sehr blass geworden und galten für unsere Generation nicht mehr oder kaum noch, allenfalls negativ, als Zumutung. Die Berliner Kunstszene, in die Adelheid Sandhof hineinkam, war jedenfalls insofern autonom. Dass sie selbst wahrgenommen wurde, als Person und Künstlerin, das zeigen ihre Ausstellungen, besonders in der Galerie Mitte, in den 80er Jahren ein wichtiger, geradezu legendär gewordener Ausstellungsort der Ostberliner Kunst. Es gab dort unter den Künstlerkollegen durchaus einen Konsens über die Vorstellungen von persönlicher Integrität und künstlerischer Authentizität. Adelheid Sandhof gehörte dazu. Man wusste, dass sie im Norden lebte, und sie baute insofern eine Brücke hierher, als sie die erste Ausstellung der Bilder von Ernst Schroeder 1986 in Neubrandenburg veranlasste und kuratierte – zur Eröffnung kamen viele Interessierte und Künstler aus Berlin, beinahe wie zu einem Fußballspiel, ich war auch dabei. Als ich vor einigen Jahren den Bestand an Tafelbildern in der Kunstsammlung Neubrandenburg sichtete, um für den Katalog einen Text beizusteuern, schien mir die Gesinnung dieser Sammlung weitgehend übereinzustimmen mit dem Künstlerkonsens und mit dem Kunstglauben, für den auch die Bilder von Adelheid Sandhof stehen, was mit einem von Lothar Böhme gern benutzten Wort als „Orientierung aufs eigentlich Künstlerische“ benannt wurde. Das ist es, was mit „essentialistischer Identität“ gemeint ist. Ohne Zweifel hat diese Kunsthaltung immer auch mit Schwermut zu tun gehabt, mit Empfindung und Sinnlichkeit aus der künstlerischen Notwendigkeit heraus. Man ahnt sofort das Unverständnis – Schwermut wurde immer beargwöhnt und übel genommen. Ich denke, es gibt das Ferment der Schwermut in den Bildern von Ernst Schroeder wie in denen von Lothar Böhme, wie in der Malerei von Adelheid Sandhof gleichermaßen und auf jeweils andere Art, aber nicht als einen vordergründig psychologischen Aspekt, sondern als    zuallererst künstlerische Notwendigkeit, als Ausdrucksmoment. Es ist eine Angelegenheit der Empfindung und der Ausdruckskraft. Für die hier gezeigte Malerei gilt, dass sie von einer Emphase des Ausdrucks getragen ist, von einer Art poetischer Leidenschaft, die zwischen hellen und dunklen Gemütswerten, Ausdruckswerten changiert und daraus ihre Lebendigkeit bezieht. Es gibt keinen Vorsatz, keine Neigung oder traditionelle Hinwendung zu einer irgendwie vorbestimmten Poesie oder Stilistik. Die Bilder aus den frühen 80er Jahren im Besitz der Kunstsammlung wirken nüchtern und kräftig. Man sieht sich einer jugendlichen Unvoreingenommenheit gegenüber, die sich vielleicht auch durch die Neubrandenburger Herkunft unbelastet fühlt und nur sich selbst verpflichtet weiß. Ausgangspunkt ist keine vorgefasste Formidee, es gibt jedenfalls keine Überformung im Sinne von Stil, keine Methodendemonstration und keine übergestülpte Poetisierung der Motive, eher, würde ich sagen, die Entwicklung einer poetischen Grundstruktur aus der sinnlichen Handhabung der malerischen Mittel. Zumindest sehe ich eine gewisse Sparsamkeit und Strenge in der Formensprache und in der Farbe, keine gebremste, aber auch keine forcierte Malerei – nicht die Vitalismen, zu denen sich Maler manchmal anscheinend verpflichtet fühlen, um ihre Emphase zu beweisen.

Unzweifelhaft ist Adelheid Sandhof zu einer ausgeprägten eigenen poetischen Grundstruktur gekommen, die natürlich mit den malerischen Ausdrucksmitteln zu tun hat, aber noch mehr mit der Lebenshaltung, denke ich. Es ist die – wie gegen äußere und innere Widerstände – aufrecht erhaltene Behauptung einer Bedeutsamkeit, die der eigenen Wahrnehmung beigemessen wird, damit auch die Behauptung der Integrität – der eigenen Subjektivität und der ihrer Objekte. Das Stillebenmotiv scheint mir viel mit einer Vergewisserung der Integrität der Dinge – der Objektwelt, aber auch der eigenen künstlerischen Integrität zu tun zu haben. Die Schwierigkeit dieser Behauptung der Integrität lässt sich daran ermessen, dass die Subjektivität der hier gezeigten Malerei scheinbar introvertiert wirken mag. Aber dagegen steht die Intensität dieser Art der malerischen Poesie, ihre Eigenwilligkeit, Klarheit. Es ist etwas gemeint und es wird etwas ausgedrückt jenseits von dem, was sowieso klar zu sein scheint – das ist heute fast alles – also jenseits vom Allerweltsempfinden, das gar nichts besagt. Das Bildnerische ist poetisch im Sinne des Offenbleibenden und des Dunklen, das als durch Empfindung belastet und beschwert verstanden werden kann, auch wenn nichts schwer wirkt. Die Emotion scheint mir immer reflektiert, im Frühwerk mit einer gewissen Strenge, in den späten Bildern mit einem helleren Grundtenor – oft mit heiterer Leichtigkeit. Ich denke, die Empfindungslage ist keine andere, aber es geht wie gesagt gar nicht um psychische Gestimmtheiten, sondern um das Bildnerische, Ausdruckshafte. Wenn diese Ausstellung das Hauptgewicht auf unbekannte neuere Arbeiten legt, vermittelt sie damit das weiter gewordene Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten, um die es Adelheid Sandhof heute geht, die sie sich trotz einiger Schwierigkeiten erarbeitet hat, wie mir scheint, ebenso bedachtsam und bewusst, wie in früherer Zeit. Aber sie gehört deshalb nicht zu den manischen Programm-Malern.

Man kann Ambivalenz in dieser Malerei konstatieren, insofern sie eigentlich immer und auch früher immer schon   changiert zwischen Offenheit und Schwere, Bewusstheit und Dunkelheit. Die Collage hat insofern eine tragende Funktion, das Ergreifen von Zusammenhängen, über die man sich nicht Rechenschaft geben kann und muss, oder das Inbeziehungsetzen von Zusammenhanglosem, das wie von selbst bildhaft wird. Die Motive sind nicht zurechtgestutzt zu sozusagen vorgefassten Bildideen, sie fügen sich durch eine eigenwillige Logik zum Bild, auf die einzugehen – sich einzulassen offenbar immer wichtiger wurde für Adelheid Sandhof. Nicht zu übersehen ist dabei aber auch die wohlbedachte Entschiedenheit, mit der die Motive als Form-Momente und als Setzung aufgefasst sind. Es gibt eine gewisse Unschärfe, die nicht zufällig zustande kommt, die aber, glaube ich, auch nicht hergestellt werden kann.  Bewirkt wird so etwas wie eine Verwandlung dessen, was da aufs Blatt gesetzt ist. Was mit größerem Abstand auf mich Jugenstil-ähnlich raffiniert wirkte, erwies sich aus der Nähe als Kreuzwortkaro. Die Dinge verwandeln sich in die Mittel der Malerin und sie verwandeln sich auch etwas rätselhaft ins Bildhafte, dessen Verwandtschaft zum Abbildhaften ganz natürlich wirkt, selbst bei dem etwas groben Spiel der Bettgestell-Collage.

Von der Kunstsammlung wird diese Malerei sehr zu recht als „eine wichtige unikate künstlerische Position in der Region“ gewürdigt. Man kann vielleicht sagen, Adelheid Sandhof hat ihre eigene Welt, ihre Eigenwilligkeit aus dem Lebensraum dieser Region und aus deren Bedingungen gegründet. Sie ist ihre eigenen Wege gegangen. Die von ihr als Malerin geschaffene Welt und der Ort ihrer Herkunft haben sicher auch heute noch miteinander zu tun. Die Ausstellung ist für Adelheid Sandhof auch eine Besinnung auf die regionale und künstlerische Herkunft, so habe ich sie verstanden. Unabhängig vom regionalen Bezug hat die Malerei und die Person für mich die Wirkung einer absoluten Glaubwürdigkeit. Natürlich wünscht man der Ausstellung eine gute Resonanz. Diese Malerei scheint mir darauf aber nicht angewiesen zu sein. Ihre Eigenwilligkeit und Lebendigkeit besteht unabhängig davon, dass sie wahrgenommen wird.