Dr. Anita Kühnel
Kunstwissenschaftlerin
Berlin |
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Eröffnungsrede 4 Temperamente 1988/89
Vor mehr als fünfzehn Jahren sind sie sich zum ersten Mal begegnet: Margot
Sperling, Sylvia Hagen, Gertraud Wendlandt und Adelheid Sandhof.
Sie waren aus unterschiedlichen Richtungen auf verschiedenen Wegen zum
Kunststudium nach Berlin-Weißensee gekommen.
Bei allem, was sie trennt, bleibt doch das Gemeinsame unübersehbar: Das
Bemühen um eine klare, überschaubare Form und eine ausgewogene Disziplin
in der Wahl der künstlerischen Mittel. Mit dem Vertrauen auf das Sehen
wird Naturform nach ihrem Wesentlichen befragt und Anlaß für die Entfaltung
der eigenen Kunstform in der Figur, im Bildnis, im Stilleben, in
der Landschaft. Für die Bildhauerinnen Sylvia Hagen und Gertraud Wendlandt
war die Begegnung mit dem Werk Werner Stötzers von entscheidender
Bedeutung. Die menschliche Figur als Metapher für gefühlte Grunderfahrungen,
diese Möglichkeit von Plastik und Skulptur ist u. a. auch durch Werner
Stötzer seinerzeit ganz entschieden wieder ins Bewußtsein gebracht worden.
Einer banal-geschwätzigen Figurenplastik hat er die strenge Tektonik
einer den vom Material bestimmten Widerstand respektierenden Skulptur
entgegengesetzt. Plastik als in sich geschlossenes Gebilde, das seinen eigenen
Gesetzen folgt.
Die Sprachen der beiden Bildhauerinnen sind im einzelnen sehr verschieden.
Sylvia Hagens Plastiken sind von einer feingliedrigen Tektonik, die schon im
Gerüst. das die Körper trägt. vorgegeben ist. Ihre Figuren wirken abgeschlossen,
insichgekehrt und strahlen Sensibilität aus, die von innen kommt.
Die Psyche wächst aus der Form, die in verhalten gegeneinandergesetzten
Asymmetrien, in differenziert modellierten Positiv-und Negativformen aus
dem Kern hervortritt und sie zugleich bindet in der Gesamtform des plastischen
Gebildes. Im Umgang mit dem Stein waltet Behutsamkeit. Sparsam
nur gibt er die Figuren frei. Sie wachsen gleichsam allmählich· aus seiner
Struktur. Bewegung ist im ehernen Rhythmus, den der Stein vorgibt, gebannt.
Die Arbeiten Gertraud Wendlandts scheinen dagegen äußerst robust. Ihre
Figuren wirken kompakt. von diesseitiger Schwere -irdenen Gefäßen gleich.
Beton ist ihr bevorzugtes Material. Der Umgang damit, seine grobe Struktur,
seine matte, Licht schluckende Oberfläche, verlangen nach großzügigen Formen,
die kraft ihres Volumens das Wechselspiel von Licht und Schatten provozieren.
Oft sind Figuren in ihrer Fülle bewußt ausgedehnt, extrem gedrängt
und ausgeweitet.
Für beide Malerinnen ist das Stilleben wichtiges Anliegen. Für Adelheid Sandhof hat es geradezu eine zentrale Bedeutung erlangt. Die vertraute Umgebung des Ateliers wie des Wohnraumes ist ihr ständig naheliegender Anlaß, vorgefundene Formen aufzunehmen und neu zu ordnen. Die Materialien
sind oft simpel: Papier, Zeitung, Plakatfarbe, Papierreste und andere
Fundstücke. Sie bevorzugt graphische Mittel: Linie, von klaren Konturen umg;·enzte Flächen. Sie ziehen sich wie ein feines ungleichförmiges Netz durch die Arbeiten und gliedern den Aufbau der Bilder. Ihre Formen bleiben transparent. sind manchmal hauchdünn, zerbrechlich wirkend. Die Dinge des Alltags verli.eren ihre irdene Selbstverständlichkeit und sind zugleich ihrer Zufälligkeit enthoben. Ihre Formen sind auf Kreis, Rechteck, Trapez und Ouadrat reduziert. Sie scheinen sich im offenen Rhythmus der graphischen Konturen aufzulösen und verhallen im leisen Klang der Farben. Die wohl schönsten Arbeiten sind die fast monochromen Malereien auf Papier. Sie weisen am konsequentesten auf die Fläche. Aus der Vorliebe für die einfache, schlichte Form und der Freude an der flächigen Bildordnung kommt die Hinwendung zur Collage.
Margot Sperling ist im besten Sinne des Wortes Malerin. In Stilleben, Akt und Bildnis fühlt sie sich ganz den klassischen Aufgaben der Malerei verpflichtet.
die seit Cezanne neu formuliert sind. Form bildet sich ganz· aus der Farbe, die in meist dumpfen, gebrochenen Tönen Raum und Körper auf der
Fläche ord net.
Naturform ist soweit reduziert, wie sie dem Aufbau des Bildes dient. Margot
Sperling bevorzugt eine ganz klare, nüchterne Bildsproehe, die ihrem kritischen,
bisweilen skeptischen Blick auf die Welt entspricht. Bewegung ist gebannt.
ihres Zeitlichen enthoben. Auf ihren Bildern breitet sich eine stille
Feierlichkeit aus, die vom Pathos der einfachen Form getragen wird. Das Ich
ist gleichsam zurückgenommen und eingegangen in das mit Konsequenz geordnete
künstlerische Bildgeschehen.
Anita Kühnel
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